Weihnachtsbasteln bringt Menschen einander näher
Der bunte Weihnachtsschmuck sorgt für leuchtende Kinderaugen.
Es braucht nicht immer viele Worte, um sich zu verständigen. Wer den Blick durch den rappelvollen Saal bei der Arbeiterwohlfahrt, Paulstraße 4, schweifen lässt, sieht sofort, dass es keine großen Reden braucht, um eine gute Zeit miteinander zu verbringen.
Gut 200 Menschen unterschiedlicher Generationen, Mitbürgerinnen und Mitbürger mit verschiedenen Wurzeln – Alteingesessene, Armutszugewanderte, Geflüchtete – Menschen mit und ohne Handicap sitzen beisammen und basteln in entspannter Atmosphäre bei Heißgetränken und Keksen Weihnachtsschmuck. Stets dabei, die Teams der interkulturellen AWO-Fachdienste, die den gemeinsamen Bastelnachmittag organisiert haben, um Menschen zusammenzubringen und Vorurteile abzubauen bzw. Menschen und Nachbarn anzuregen, gemeinsam über Herausforderungen und Chancen zu sprechen.
„Nach zweieinhalb Jahren Corona wollten wir Nachbarn, Zugewanderten, Geflüchteten und allen Mitmenschen, vor allem solchen, denen es nicht so gut geht, einfach eine schöne Aktion in der Vorweihnachtszeit ermöglichen“, erklärt AWO Mitarbeiterin Georgiana Abbas vom EU Team. Im AWO Frauencafé habe es vor der Pandemie ähnliche Veranstaltungen gegeben, aber in wesentlich kleinerem Rahmen. „Uns ist wichtig, dass die Menschen hier Kontakt miteinander aufnehmen, vielleicht sogar Freundschaften schließen.“
Unkomplizierte Verständigung
Das gemeinsame Basteln verbindet die Menschen über die Kulturen hinweg. „Unser Ziel ist immer, dass sich die Menschen auch ohne unsere Unterstützung verständigen können“, erklärt Veronica Ianculov vom AWO EHAP Team. Wie unkompliziert dies funktionieren kann, zeigt ein Beispiel von Andrea Chelu vom Interkulturellen Nachbarschaftsprojekt: „Eine bulgarische Familie kam an einen Tisch, an dem bereits Geflüchtete aus der Ukraine bastelten.“ Chelu wies darauf hin, dass sie sich einfach gegenseitig zeigen könnten, wie etwas gebastelt wird, ohne viele Worte. „Das hat wunderbar funktioniert und alle waren begeistert.“ Jennifer Humpfle von der AWO Integrationsagentur ergänzt: „Es geht uns immer um die verbindenden Elemente – das Miteinander und nicht das Nebeneinander.“
Aus Alt mach Neu
Ein freudiges Funkeln lässt sich in den vielen Augenpaaren ausmachen, die rings um die zwölf großen Tische im Saal sitzen. Die einen sind hochkonzentriert, die anderen haben vor Aufregung und Freude gerötete Wangen. Jungen und Mädchen, junge Erwachsene, Mütter, Väter, Omas und Opas sch neiden Papier nach Vorlagen aus, stanzen Elche, Engel und Sterne zum Verzieren von Weihnachtskarten oder bemalen gekonnt Windlichter. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
Während ein Mädchen säuberlich lilafarbene Quadrate auf ihren Papierstiefel klebt, verziert ein Junge seine Weihnachtskarte mit Glitzerstaub. Die Bastelmaterialien hat das Referat Integration und Zuwanderung der Stadt Gelsenkirchen beigesteuert. Ganz im Sinne des Nachhaltigkeitsgedankens kommen aber auch einfachste Papier- oder Pappstücke zum Einsatz, ebenso wie Wattepads, die sich hervorragend zu Schneemännern verarbeiten lassen. „Wir können aus Kleinigkeiten Schönes entstehen lassen“, betont Andrea Chelu. Zudem können die Familien diese Anregungen auch einfach Zuhause umsetzen.
Schmuck geht auch an Obdachlose
Natürlich entsteht an den Tischen auch verschiedenster Baumschmuck, der zum Teil am großen Weihnachtsbaum im AWO-Saal aufgehängt wird. „Für viele, vor allem für große Familien, ist es schwierig, Geld für Weihnachtsdekoration aufzubringen“, weiß André Del Barrio von den interkulturellen AWO Fachdiensten. Deshalb können die Familien ihren gebastelten Schmuck mit nach Hause nehmen, um es sich dort gemütlich zu machen. Da aber viel mehr entsteht, als die Besucher:innen benötigen, wird der Rest des Weihnachtsschmucks zum einen an sogenannte „Problemimmobilien“ und ebenso an die städtische Obdachlosenunterkunft verteilt.
Einfach eine Zeit lang den Alltag und die Welt draußen vergessen, das ist einer der Motivationsgründe der Besucher:innen. So berichtet eine 60-jährige Frau, die im April aus der Ukraine geflüchtet ist, dass ihr die Veranstaltung viel Spaß macht. Sie hat schon immer zwei Mal Weihnachten gefeiert, einmal das evangelische, weil ihre Mutter Deutsche ist, und das orthodoxe, das im Januar gefeiert wird. Weihnachten feiere sie in diesem Jahr angesichts des Krieges in ihrer Heimat eher mit weinendem Auge. Umso schöner ist die entspannte Abwechslung bei der AWO für sie.
Neue Kontakte knüpfen
Für andere ist der Bastelnachmittag eine Gelegenheit, sich zu öffnen. „Da ist eine syrische Familie, die alles hinter sich gelassen bzw. alles, was sie hatte, verloren hat“, erläutert Huda Al-Hussari. „Ich habe sie eingeladen, dazuzukommen und Menschen kennenzulernen.“ Nach zehn Minuten hatten sie sich mit ihren Tischnachbarn angefreundet, die Kinder bastelten vergnügt mit anderen Kindern. „Eine Frau hat mir auch erzählt, dass sie sich durch das Basteln an schöne Kindheitstage erinnert fühlt. Das freut mich sehr.“
Ein junger Mann aus dem Projekt „Durchstarten in Arbeit“ hat als Dank für Huda Al-Hussaris Unterstützung eine Papierrose für sie gebastelt. Ein anderer aus dem gleichen Projekt hat den ganzen Nachmittag beim Basteln verbracht. „Er fühlt sich sehr einsam und vermisst seine Familie“, erklärt Huda Al-Hussari. „Es ist ganz toll, dass er sich hier so wohl gefühlt und Menschen kennengelernt hat. Er hat auch gefragt, ob wir das jetzt jeden Tag machen können.“ Mit der Frage einer Wiederholung ist er an diesem Nachmittag nicht der einzige.
Das harmonische Miteinander wird von Senior:innen und Nachbarschaftsstifter:innen unterstützt, ebenso wie den Diakonie Kolleg:innen und Sabine Walther von der Stadt, Referat Integration.
Gabi Manson, Kreisvorstandsvorsitzende der AWO Gelsenkirchen, ist begeistert: „Ich bin hier, weil ich Vielfalt erleben möchte. Es ist toll, wie viele Nationen hier in Harmonie unter einem Dach zusammenkommen. Das offene Miteinander aller, egal ob Männer oder Frauen, Jungen oder Mädchen, beeindruckt mich zutiefst. Alle kommunizieren miteinander, ganz ohne Berührungsängste. Hier im Haus entsteht wirklich etwas ganz Tolles.“